Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) von elektronischen Geräten

Veröffentlicht: 09.08.2023  |  Lesedauer: 6 Minuten

Heute ist es unvorstellbar, was in den 1970er Jahren noch durchaus öfter vorkam. Denn wenn damals der Schwarz/Weiß-Röhrenfernseher eingeschaltet wurde, war ein störungsfreier Empfang trotz intakter Antenne nicht immer sichergestellt.

Falls die Kinder im Nebenzimmer mit der elektrischen Autorennbahn spielten und dabei die Funken an den Schleifkontakten der Rennautos nur so sprühten, waren Bild- und Tonstörungen quasi vorprogrammiert. Aber auch ein gleichzeitig eingeschalteter Staubsauger oder Haartrockner konnte zu damaligen Zeiten das Fernseherlebnis sehr schnell zunichte machen.

Zum Glück jedoch gehören dank der elektromagnetischen Verträglichkeit diese unschönen Erfahrungen der Vergangenheit an. Was es mit der EMV bzw. mit der elektromagnetischen Verträglichkeit auf sich hat und warum sie so wichtig ist, erklären wir Ihnen gerne.



Was ist elektromagnetische Verträglichkeit?

Um die elektromagnetische Verträglichkeit besser verstehen zu können, wollen wir noch einmal das eingangs erwähnte Beispiel mit der Autorennbahn und dem Fernseher aufgreifen. Der Funkenflug bei der Stromübertragung an den Schleifkontakten erzeugt sehr hohe Spannungsspitzen. Diese können sich über die Stromleiter in den Schienen und den Transformator zurück in das Stromnetz ausbreiten. Gleichzeitig wirken die Stromleiter in den Schienen und die Anschlussleitungen des Trafos wie Antennen, sodass die hochfrequenten Anteile der Spannungsspitzen als elektromagnetische Funkwellen abgestrahlt werden. Demzufolge erfolgten die Störungen des Fernsehers meist über das Stromnetz und zum Teil über die direkte Funk-Einstrahlung

Das änderte sich am Anfang der 1980er Jahre, als der Verband deutscher Elektrotechniker neue Vorschriften bezüglich der Störaussendung und der Störfestigkeit von elektrischen Betriebsmitteln aufgestellt hat. Bereits damals erkannte man, dass das Problem von zwei Seiten angegangen werden muss.

Einerseits dürfen Geräte und Anlagen (Systeme) aktiv keine Störungen aussenden. Andererseits müssen sie so gebaut werden, dass eventuelle elektromagnetische Störungen von anderen Geräten effektiv abgeblockt werden.

Mittlerweile wird die elektromagnetische Verträglichkeit bereits bei der Produktentwicklung berücksichtigt und vor der Serienfertigung geprüft.

Durch die minimale Störaussendung und maximale Störfestigkeit ist der gleichzeitige störungsfreie Betrieb vieler Geräte und Anlagen problemlos möglich. Selbst auf engstem Raum und in der gleichen elektromagnetischen Umgebung. Die verschiedenen Anforderungen der DIN VDE-Vorschriften zur EMV wurden zwischenzeitlich in das Europäische Normenwerk (EN-Normen) bzw. auch in die internationalen Normen und Standards (IEC) mit aufgenommen. 



Was versteht man unter EMI?

In Verbindung mit EMV sind immer wieder die drei Buchstaben EMI zu finden. Die Abkürzung EMI steht u.a. für Electromagnetic Interference. Als Interferenz wird die Überlagerung von Wellen bezeichnet, wobei sich die Wellen je nach Phasenlage verstärken oder gegenseitig auslöschen können. Die elektromagnetische Interferenz beschreibt eine Betriebsstörung, die das elektromagnetische Feld einer externen Quelle bei einem elektronischen Gerät hervorruft. Zu den natürlichen Quellen von Interferenz-Störungen gehören beispielsweise die Sonnenstrahlung oder auch elektrostatische Entladungen (Blitze). Zu den von Menschen gemachten Quellen zählen Stromleitungen, elektrische Geräte oder auch Funksender.

Die Ursache, warum technische Geräte, elektronische Produkte oder Anlagen mehr oder weniger EMI-Störungen erzeugen, liegt u.a. darin, dass elektronische Bauteile elektrostatische oder elektromagnetische Felder aufbauen, sobald Spannung anliegt oder Strom fließt. Ohne diesen Effekt könnten beispielsweise Kondensatoren, Transformatoren oder Relais nicht funktionieren.

Es gibt in der Technik aber auch Konstellationen, bei denen sich der Feldeffekt extrem negativ auswirkt. Dies ist beispielsweise in einem Schaltnetzteil der Fall, wo hohe Spannungen im schnellen Rhythmus ein- und ausgeschaltet werden.

Die dadurch erzeugten elektromagnetischen Störungen müssen bereits bei der Entwicklung des Netzteiles durch geeignete Maßnahmen bestmöglich verhindert werden. 

Hinweis:
Im Zusammenhang mit elektromagnetischer Verträglichkeit und dem Begriff EMI wird in der Elektronik auch oft die Abkürzung RFI verwendet. Die drei Buchstaben RFI leiten sich vom Begriff Radiofrequency Interference ab und bezeichnen in erster Linie Hochfrequenzstörungen. EMI und RFI sind die beiden wesentlichen Faktoren, die bei der Beurteilung der elektromagnetischen Verträglichkeit berücksichtigt werden müssen.



Welche EMV-Störungen gibt es?

Damit zwei Systeme miteinander interagieren können, muss eine Verbindung bzw. Übertragung vorhanden sein. Fachleute sprechen dann von einer Kopplung, die zwischen Störquelle (Sender) und Störsenke (Empfänger) besteht. Je nachdem, wie die Systeme mechanisch aufgebaut sind, kann die Kopplung auf unterschiedliche Weise erfolgen:

Leitende Kopplung

Bei der leitenden Kopplung sind die einzelnen Systeme oder Baugruppen direkt mit einem Draht oder Kabel miteinander verbunden. Aber auch die unzähligen Leiterbahnen auf einer Platine oder die Teile eines Metallgehäuses können intern eine leitende Kopplung zwischen den unterschiedlichen Baugruppen eines Gerätes hervorrufen.


Strahlungs-Kopplung

Bei der Strahlungskopplung erfolgt die Interferenz-Störung durch die Luft. Denn jede Leiterbahn und jeder Draht in einem Gerät kann sich unter bestimmten Umständen wie eine Antenne verhalten. Abhängig davon, in welchem Gerätebereich sich diese befinden, können elektromagnetische Störungen entweder ausgesendet oder empfangen werden.


Kapazitive Kopplung

Eine kapazitive Kopplung tritt dann auf, wenn zwischen zwei benachbarten Leitern ein unterschiedliches elektrisches Feld besteht. Das können parallel verlaufende Kabel oder nebeneinander platzierte Leiterbahnen sein. In diesem Fall verhalten sich diese Teile wie ein Kondensator. Je geringer der Abstand, desto höher ist die Kapazität.


Induktive Kopplung

Neben der kapazitiven Kopplung kann bei parallel verlaufenden Leitern auch eine induktive Kopplung auftreten. In diesem Fall ist nicht das elektrostatische Feld, sondern das elektromagnetische Feld ausschlaggebend. Das Magnetfeld eines elektrischen Leiters kann im zweiten elektrischen Leiter eine elektrische Störspannung induzieren.


Hinweis:
Die kapazitive Kopplung ist überwiegend spannungsabhängig, wogegen die induktive Kopplung in erster Linie stromabhängig ist. Je höher die jeweiligen Werte, desto stärker ist der Koppeleffekt.



Wie werden Interferenzstörungen vermieden? 

Die Reduzierung bzw. Unterdrückung von EMI- und RFI-Störungen ist ein sehr komplexes Thema, das bereits bei der Entwicklung eines Produktes unbedingt mit einfließen muss. Ansonsten besteht die Gefahr, dass bei der finalen EMV-Prüfung das Produkt durchfällt und eine kostenintensive Umgestaltung (Re-Design) des bereits fertigen Gerätes erforderlich wird. In diesem Fall muss dann genau geprüft werden, welche Interferenz-Störungen an welchen Stellen auftreten und wie das verhindert werden kann.

Um die Vorgaben EMV-Richtlinie bzw. der angewandten Norm erfüllen zu können, kommen vorzugsweise Filter oder Abschirmungen zur Anwendung. Diese technischen Bauteile sind in den unterschiedlichsten Formen und Ausführungen erhältlich. Dabei können einzelne Bauteile oder Kabel, größere Baugruppen oder auch komplette Geräte mit elektrisch leitenden Materialien, wie beispielsweise Abschirmblechen oder speziellen Gehäusen, abgeschirmt werden.

Zum Teil werden aber auch schon bei der Schaltungsentwicklung spezielle Bauteile zur EMI-Unterdrückung, wie beispielsweise Ferritkerne oder Entstördrosseln, integriert.

Bei Geräten, die ein Netzanschlusskabel aufweisen, werden sogenannte Entstörfilter verwendet. Diese Netzfilter befinden sich direkt am Eingang der Stromleitung und enthalten speziell abgestimmte Spulen und Kondensatoren. Dadurch wird verhindert, dass die im Gerät entstehenden Störungen über die Stromleitung nach außen gelangen. Gleichzeitig sorgen die Netzfilter dafür, dass eventuell vorhandene Störungen über die Netzanschlussleitung in das Gerät gelangen können.



Wie wird eine EMV-Messung durchgeführt?

Die Durchführung einer EMV-Messung hängt von vielen Faktoren und Anforderungen ab. Abgesehen von großen technischen Anlagen oder Systemen, die vor Ort getestet werden müssen, werden die meisten EMV-Messungen in einem Absorber-Raum eines EMV-Labors  durchgeführt.

Durch die hermetische Metallverkleidung können Funksignale und Funkstörungen weder nach innen eindringen, noch von innen nach außen gelangen. Zudem sorgen spezielle Absorber im Innenraum dafür, dass die Decke und die Wände keine Signale reflektieren und so die Messergebnisse verfälschen.

Entsprechend den Anforderungen der EMV-Normen und EU-Richtlinien werden dann produktspezifische EMV-Prüfungen zur Störfestigkeit und Störaussendung durchgeführt. 

Entsprechend der Normen EN IEC 61000-6-1:2019 und EN IEC 61000-6-2:2019 werden bei Hochfrequenzgeräten, die unbeabsichtigt Hochfrequenzfelder aussenden, zwei Klassen unterschieden:

EMV Klasse A für den Einsatz in industrieller Umgebung

EMV Klasse B für den Einsatz in oder in unmittelbarer Nähe von Wohn-, Geschäfts- und Gewerbebereichen.

Für Maschinen mit elektrischen oder elektronischen Bauteilen, die elektromagnetische Emissionen verursachen oder einer Störstrahlung in Form elektromagnetischer Felder ausgesetzt sind, gilt die EMV Maschinenrichtlinie (2003/42/EG). Die jeweils angewandten Messverfahren und Messaufbauten sind immer auf das jeweils zu prüfende Gerät ausgerichtet und können sehr unterschiedlich ausfallen. Unabhängig davon kann eine bestandene EMV-Prüfung bei Bedarf als Grundlage für die CE-Kennzeichnung dienen.



Warum sollten EMV-Prüfungen durchgeführt werden?

Da die EU-Richtlinie 2014/30/EU (EMV-Richtlinie) zur Einhaltung der EMV-Anforderungen keinen Gesetzescharakter hat, mussten die EU-Mitgliedsstaaten die EMV-Richtlinie in ein nationales Gesetz umwandeln. In Deutschland wurde darum im Jahr 2016 das Gesetz zur Elektromagnetischen Verträglichkeit (EMVG) erlassen. Dieses Gesetz ist für Hersteller, Inverkehrbringer und Händler bindend. Wie die EMV-Richtlinie enthält auch das EMVG keinerlei technische Angaben bezüglich der zulässigen Grenzwerte. Diese sind in den verschiedenen Normen festgelegt, die anzuwenden sind.

Auch wenn es derzeit keine Pflicht ist, sollten EMV-Prüfungen unbedingt vor der Markteinführung durchgeführt werden. Denn wenn ein nicht EMV-gerechtes bzw. EMV-konformes Produkt ein zu starkes elektromagnetisches Störsignal abgibt, werden die Behörden eine schnelle Beseitigung des Mangels fordern. Das betrifft dann die am Markt befindlichen Geräte sowie den kompletten Lagerbestand. Wird der Aufforderung nicht umgehend Folge geleistet, drohen hohe Zwangsgelder, Rückrufaktionen und Verkaufsverbote. Bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben werden die betroffenen Geräte sogar vernichtet.